Ein Spaziergang durch Bayerns frühe Geschichte

 Die römische Legionslagermauer als neue Attraktion in Regensburg

Die einstige Legionslagermauer am Ernst-Reuter-Platz

Die einstige Legionslagermauer am Ernst-Reuter-Platz

„Die spinnen, die Römer!“ Dieser viel zitierte Ausspruch von Asterix und Obelix ist vielleicht ein passender Kommentar für so manche Taten der Legionäre, er gilt jedoch nicht für die Leistungen römischer Wirtschaft und Kultur, die den süddeutschen Raum seit dem frühen Christentum nachhaltig prägten. Um 15 vor Christus hatten die Römer in nördlicher Richtung die Alpen überschritten, die mächtigsten Kelten- und Germanenstämme besiegt und begonnen, das gesamte Gebiet südlich der Donau und westlich des Rheins in ihren Machtbereich einzugliedern. Als nördliche Außengrenze des römischen Reiches entstand der Limes, der nach seiner jahrzehntelangen Freilegung heute mit einer Ausdehnung von 550 Kilometern das längste Bodendenkmal Europas darstellt. Vier Jahrhunderte lang behaupteten sich die Römer in ihren neuen Provinzen „Raetien“ und „Noricum“. Viele Städte, die heute noch existieren, wurden damals von ihnen als Heerlager begründet, so zum Beispiel Augsburg, Passau, Rosenheim. Regensburg und Kempten. Die neuen Herren hatten eine Vorliebe für Komfort und ein genussreiches Leben. Davon zeugen die Thermen (Bäder) und Villen, Gefäße, Schmuck und andere kunstvolle Grabbeigaben, die von den Archäologen ausgegraben wurden. Die Eroberer brachten den Weinbau ins Land, bauten ein weit verzweigtes Straßennetz auf und trieben lebhaft Handel mit den „Barbaren“.

Als sich die Einfälle und die Zerstörungen durch die Germanen in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts nach Christus häuften, wurde das Militär von Rom aus erheblich verstärkt. Kaiser Marc Aurel (161-180) verlegte die gesamte dritte Italische Legion nach Rätien. Die Soldaten errichteten sich nahe dem nördlichsten Punkt der Donau ihr neues Militärlager, das Castra Regina genannt wurde – das heutige Regensburg. Über diese Vorgänge ist man ungewöhnlich gut informiert, dank einiger Steine, die 1873 zufällig bei Bauarbeiten am ehemaligen Osttor des Lagers ans Tageslicht kamen. Auf ihnen entdeckte man Bruchstücke der einstigen Bauinschrift. Sie verrät unter anderem, dass das Castra Regina im Jahr 179 unter Leitung des Kommandanten und Provinzstatthalters Marcus Helvius Clemens Dextrianus vollendet wurde. Dieses wertvolle Zeugnis wird heute im Historischen Museum der Stadt aufbewahrt.

Gründungsinschrift des Römerkastells 170 n.Chr.

Gründungsinschrift des Römerkastells 170 n.Chr.

Das einstige Römerkastell in Regensburg erstreckte sich auf einem rechteckigen Grundriss von 540 x 450 Metern. Eine zwei Meter starke, rund acht Meter hohe, mit Türmen bewehrte Mauer aus mächtigen Quadern und ein vorgelagerter Graben schützten den Innenbereich. Zugang hatte man über vier, von Türmen flankierte Toranlagen, die in der Mitte jeder Mauerseite angebracht waren. In Regensburg hat sich davon das massive Nordtor, die Porta Praetoria, in wesentlichen Teilen erhalten. Sie gilt heute als das größte Bauwerk in Bayern, das noch aus der Römerzeit vorhanden ist. Auf dem bestens geschützten Areal lebten bis zu sechstausend Soldaten. Das Lager umgab eine Vorstadt, in der die Zivilbevölkerung, Handwerker, Händler und Bauern, die die Legionäre versorgten, ihre Wohnstätten hatten. Auch die Privathäuser der Reichen aus der Oberschicht, Freizeitanlagen, Tempel und Begräbnisstätten befanden sich im Umfeld des Kastells. Regensburg entwickelte sich schnell zum zweitwichtigsten Standort der Römer nach Augsburg.

 Das Informationszentrum am Dachauplatz

 Das Informationszentrum am Dachauplatz

Nachdem Ende des 4. Jahrhunderts die letzte Einheit römischer Soldaten abgezogen war, nahmen die Germanen das Lager in Besitz. Die Wehranlage diente fortan zur Stadtbefestigung, wurde im Mittelalter vielfach ausgebessert, bis sie überflüssig, zerstört und an vielen Stellen abgetragen war.

Zwischen Erst-Reuter-Platz und Hunnenplatz, der Südostecke des einstigen Römerlagers, hatte sich jedoch die römische Mauer in einer Länge von 2000 Metern erhalten. Sie diente noch bis zur Erstürmung Regensburgs durch Napoleon im Jahr 1809 als Teil der damaligen Stadtmauer. Deshalb zeigt sich hier auch eindrucksvoll das Nebeneinander von römischer Befestigung aus Quadersteinen und mittelalterlicher Umwehrung aus Bruchsteinen. 

Lange Zeit fristete die gewaltige Mauer nur ein stiefmütterliches Dasein und wurde von vielen als Müllkippe für Zigarettenstummel und Abfälle benutzt. Auch aufgrund der Umwelteinflüsse und Abgase war eine Sanierung der Römermauer schon lange dringend notwendig geworden. Aus Geldmangel musste sie jedoch immer wieder verschoben werden. Erst mit Hilfe des 2009 angelegten Konjunkturprogramms „Investitionen in nationale Welterbestätten“, das zwei Drittel der Kosten des 1,7 Millionen teuren Projekts übernahm, ergab sich nun die Möglichkeit zur Finanzierung. Die nähere Untersuchung der Mauer brachte manche überraschenden Ergebnisse. Zum Beispiel entdeckte man, dass die Steine nicht allein durch kunstvolles Behauen fast lückenlos aneinander gefügt wurden, sondern manche der Fugen schon von den Römern mit Mörtel ausgefüllt worden sind. Auch kann man anhand der uneinheitlichen Bauweise der Steine in den höheren Reihen sehen, dass die Lagermauer schon in der Römerzeit Umbauten erfahren hat.

Nach drei Jahren Sanierungszeit konnte im Frühjahr 2014 nun das neue „document Legionslagermauer“ eröffnet werden. Neben der sorgfältigen Konservierung der Mauer hatte man vor allem auch die angemessene Würdigung dieses Denkmals im Blick. Durch eine möglichst eindrucksvolle Präsentation des Objekts sollten die Besucher in die Frühzeit der Stadtgeschichte von Regensburg versetzt werden. Laut Architekt Joachim Peithner war dabei jedoch nicht geplant, die Mauer besonders zu inszenieren oder sie als Museumsstück in einem künstlichen Umfeld zu zeigen. Auch Verniedlichungen á la „Asterix und die Römer“ wollte das verantwortliche Gremium unter Leitung des Archäologen Dr. Andreas Boos, dem 2. Direktor des Historischen Museums, verhindern. Allein durch die Veränderung der Blickwinkel, die Anlage von Besucherstegen, - räumen und -treppen gelang es, die Bedeutung der Römermauer in den Mittelpunkt zu stellen. Zudem informieren Schautafeln und ein großer Monitor im Parkhaus am Dachauplatz ausführlich über die Entstehung, das Aussehen, die Geschichte und die Sanierung des Bauwerks. Damit lässt sich im „document Legionslagermauer“ nun hautnah das einstige römische Kastell erleben; besonders bei einem nächtlichen Spaziergang wirkt die angestrahlte Mauer beeindruckend in ihrer Monumentalität. Nur wenige Städte, die wie Regensburg aus einem Römerlager hervorgegangen sind, verfügen in der Gegenwart noch über einen so reichen Baubestand aus ihren Anfängen.

Rennfahrer Horst Bergschneider als Retter der Römermauer

Rennfahrer Horst Bergschneider als Retter der Römermauer

Heute kann man von Glück reden, dass dieses Denkmal überhaupt noch vorhanden ist. Denn Ende der 1950er-Jahre hatte man in der wirtschaftlich aufstrebenden Stadt damit begonnen, das Gelände am Ernst-Reuter-Platz aufzufüllen. Eine Versicherung, die sich hier einen imposanten Neubau geschaffen hatte, wollte mit dieser Maßnahme einen geräumigen Platzplatz für ihre Kundschaft anlegen. Die römischen Mauerreste stand dabei im Weg und sollten eingeebnet werden. Einen Teil der riesigen Quadersteine hatte die Dombauhütte bereits abtransportiert. Man wollte sie zerkleinern und künftig bei der Ausbesserung des Domes verwenden.

Einem „Zuagroasten“ ist es zu verdanken, dass die Reste der fast zweitausend Jahre alte Mauer damals nicht zerstört wurden. Der Rallyefahrer Horst Bergschneider beobachtete damals zufällig von seinem Stammlokal, der „Milchbar beim Joschi“ aus, wie die Bagger heranfuhren und mit den Bauarbeiten begannen. Er wurde sofort aktiv. Bergschneider war zu jener Zeit einer der wenigen, die die Bedeutung des römischen Erbes erkannten. Er alarmierte Regensburgs Oberbürgermeister Karl Schlichtinger. Doch dieser musste ihm mitteilen, dass die Stadt nicht genug Geld hatte, um die Römermauer zu retten. Bergschneider startete daraufhin eine beispiellose Spendenaktion. Um das für den Schutz des Denkmals benötigte Kapital zusammen zu bringen, organisierte er Konzerte, stellte sich mit der Sammelbüchse auf die Straße, sprach Regensburger Geschäftsleuten als potenzielle Sponsoren an und unternahm spektakuläre Aktionen. Unter anderem trat er gemeinsam mit der Akrobatengruppe Adler auf, die mit einem Motorrad auf dem Hochseil vom Ägidienplatz aus auf den Turm der Sternwarte fuhren. Der Rallyefahrer baumelte bei dieser Vorführung unter der Maschine in einem Gurt ohne die Sicherung durch ein Netz und riskierte dabei sein Leben. Das tollkühne Unternehmen gelang. Fernsehen und überregionale Medien berichteten ausführlich darüber und die Spenden flossen daraufhin reichlich. Um auch die Erforschung der Anlage durch weitere Grabungen zu sichern, erwarb Bergschneider für seine Werbezwecke einen leuchtend roten Formel-Junior-Rennwagen. Zusammen mit Oberbürgermeister Schlichtinger organisierte er ein medienwirksames Ereignis um die Enthüllung und Taufe des Wagens auf den Namen „Regensburg 1“. Auf diese Weise konnte das vorrangige Spendenziel - die Rettung der Römermauer - letztlich erreicht werden, wenn auch die endgültige Realisation noch lange auf sich warten ließ.

Bergschneider lebte damals erst seit kurzem in der Donaustadt. Er stammte aus Münster in Westfalen, wo er 1919 zur Welt kam. Von Kindheit an hatte er eine besonderes Interesse für Fahrzeuge entwickelt. Schon im Alter von sechzehn Jahren baute er sich ein eigenes Auto. Als Rennfahrer gewann er die deutsche Tourenmeisterschaft, war auf dem Nürburgring, dem Salzburgring und anderen berühmten Rennstrecken daheim und erhielt eine Reihe nationale und internationale Auszeichnungen. Bergschneider war zudem ein überzeugter Pazifist. Er trat nach dem 2. Weltkrieg den Friedensaktivisten der „Weltbürger-Bewegung“ bei. Berufliche Gründe führten den gelernten Journalisten 1958 nach Regensburg. Er sollte hier eigentlich nur eine Werbekampagne für die Automarke DKW entwickeln. Der Westfale fand jedoch in Regensburg die Frau fürs Leben, gründete eine Familie und ließ sich dauerhaft in der Domstadt nieder. Wie sehr er sich von Anfang an mit seiner neuen Heimat identifizierte, beweist sein vorbildliches Bürgerengagement zur Rettung der Römermauer. Ohne seine Initiative wäre die Welterbestadt heute um ein bedeutendes Denkmal ärmer und hätte ihren Titel vielleicht nie erhalten. Zur Eröffnung des „document Legionslagermauer“ ehrte die Stadt daher Horst Bergschneider mit einer Gedenktafel, die an dem neuen Besuchersteg am Ernst-Reuter-Platz zur Aufstellung kam.

 

Chr. Riedl-Valder

aus: Altbayerische Heimatpost32 (4.-10.8.14), S. 20f

(Text und Fotos Chr. Riedl-Valder)