Prosa
Harald Grill: Hinter drei Sonnenaufgängen. Balkan-Streifzüge durch Rumänien und Bulgarien bis Odessa
edition lichtung 2018, ISBN 978-3-941306-81-3, 22,- €.
Viele Gründe können einen zum Reisen bewegen: die Sehnsucht nach Sonne, Sand und Meer oder nach den Bergen; das Bedürfnis nach Erholung, gepaart mit den Reizen fremdländischer Kultur und Kulinarik; der Drang nach sportlichen Aktivitäten; die Abenteuerlust. Für Harald Grill war es der Wunsch, das Leben unserer Nachbarn in Südosteuropa selbst zu erkunden. Was stimmt von all den Meinungen und Vorurteilen, die man hierzulande mit den Ländern Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Ukraine und deren Bewohner verbindet? Und wie ist es dort in Wirklichkeit? Die Neugier, dies herauszufinden, trieb ihn an.
Von seinem Wohnort bei Nittenau in der Oberpfalz aus machte er sich mit seinem alten Auto auf den Weg in den Balkan. Die geplante Strecke vom Vorderen Bayerischen Wald bis nach Odessa am Schwarzen Meer betrug reine Luftlinie rund 2.000 Kilometer. Aber der Autor war nicht darauf erpicht, den kürzesten und schnellsten Weg zu finden. Im Gegenteil. „Ich fahre gern ohne Navigationsgerät, da habe ich mehr von der Umgebung, weil ich mich öfters verfahre.“ Für den, der sich Zeit lässt, warten am Wegrand nämlich die interessantesten Eindrücke. Der Erlebniswert beim Zu-Fuß-Gehen, oder mit dem öffentlichen Nahverkehr oder im dem klapprigem Auto auf unwegsamen Straßen ist für Harald Grill unübertroffen. Er suchte auf seiner Reise den intensiven Kontakt mit den normalen Leuten, den unverfälschten Einblick in ihren Alltag und ihre Lebensumstände. Dabei kommen viele Themen zur Sprache: die politischen Verhältnisse der Gegenwart und Vergangenheit, die Probleme der vielen Minderheiten in der Bevölkerung, Armut, die Begegnung mit korrupten Beamten, mit Mitgliedern der Mafia und Schutzgelderpressern, der Dialekt der Rumäniendeutschen, die kyrillische Schrift, Impressionen von verwahrlosten Orten und trostlosen Regionen, aber auch die Erlebnisse herrliche (Fluss-)Landschaften, echter Herzlichkeit und Lebensfreude in der Genügsamkeit.
Die bildhafte Sprache und die treffenden Vergleiche, mit denen der Autor seine Eindrücke beschreibt, sind für den Leser besonders reizvoll und prägen sich ein („Die Fenster der Gebäude dort sind allesamt eingeschlagen. Was für traurige Augen Häuser haben können...“). Grill suchte im Gespräch mit Politikern, Kulturschaffenden, Autoren und Musikern diese fremde Welt zu ergründen, denn das durch Filme und Bücher vermittelte Wissen reicht dafür nicht aus. „Es ist etwas ganz anderes, wenn jemand aus eigener Erfahrung berichtet, und du kannst so lange nachfragen, bis du die Zusammenhänge wenigstens annähernd begreifst.“ Dem Autor ging es nicht darum, auf seiner Tour lückenlos alle Sehenswürdigkeiten der Länder abzuhaken. Aber er stattete vielen Kulturorten, die ihm wichtig waren, einen Besuch ab, so zum Beispiel dem ansonsten nichtssagenden Dorf, in dem die spätere Literaturpreisträgerin Herta Müller aufwuchs.
Harald Grill hat mit seinem neuen Buch nicht nur seine Kompetenz für besten Reisejournalismus bewiesen, sondern - wie schon oftmals in seinen Erzählungen und Gedichten - erneut seine ausgeprägte Fähigkeit, mit einer anschaulichen, bildhaften Sprache Zusammenhänge zu vermitteln, die das Besondere an Ländern, Orten, Menschen, Meinungen und Situationen zum Ausdruck bringen.
(Text: Dr. Chr. Riedl-Valder)